Zeit
Zeit. Zeit. Zeit. Darüber ist wohl seit Menschengedenken am allermeisten gesprochen, geschrieben, gerätselt worden. Vielleicht nur noch übertrumpft von dem Thema Liebe. Da gibt es nämlich auch so eine Endlosdiskussion. Die Funktionsweise aus einem Gemisch von Hormonen, Gesten, Gerüchen, Gefühlen ist schwer in eine Formel zu packen ist.
Bei der Zeit und ihrer Definition ist schon deutlich mehr wissenschaftliche Logik beteiligt. Trotzdem. Durch Beobachtungen scheinbar unveränderlicher Zyklen von Naturerscheinungen, Umlaufbahnen, Rotationen und dynamischen Massenanziehungen von Planeten unseres Sonnensystems sind die groben Zeitmaßstäbe, wie Jahre, Monate, Tage einst entstanden. Doch schon dabei gab es Ungenauigkeiten, da selbst die Sterne nicht so präzise sind.
Es gibt Pendelbewegungen, kleinere Abweichungen über lange Perioden. Über alle Zeit exakt konstant sind Vorgänge dort oben eben nicht. Alle weiteren Unterteilungen in kleinere Sequenzen sind eher hausgemacht. Sie lehnen sich an willkürliche, erfundene, per Dekret festgelegte Abschnitte aus grauer Vorzeit an. Dabei sind Zählweisen und Startpunkte der Zählung oft geändert worden, bzw. bis heute nicht einheitlich. Es sind ganze Monate und Jahre durch Kalenderanpassungen verloren gegangen. Auch hat sich der Versuch der Römer, wie in anderen Bereichen das Zehnersystem zu benutzen, nicht durchgesetzt.
Bei 12 Monden für einen Sonnenumlauf der Erde pro Jahr auch ein blöder Versuch. Irgendwann waren sie aber einsichtig und Januar und Februar wurden bei den Monaten hinzu genommen. In der Technik ist die kleine Zeiteinheit Sekunde durch einen komplexen Vorgang in einem Cäsiumatom genormt, daraus ergeben sich als Vielfache die bekannten größeren Einheiten, Minuten etc.
Im normalen Tagesgebrauch ist man im Zwölfersystem geblieben und hat nicht einfach die Zeitspanne von Mitternacht bis 'high noon' am Mittag mit 10 Stunden definiert. Egal, wie auch immer, an der Genauigkeit hätte das auch nichts geändert. Der Jahreszeitraum ist nämlich immer noch ungenau, sodaß Schaltsekunden und alle 4 Jahre ein Schalttag eingefügt werden müssen. Da machen Sonne, Mond und Sterne irgendwie was sie wollen. In Sachen Hundertstel, Tausendstel Sekunden oder noch kleiner sind wir Menschen aber sehr präzise. Wie sonst wäre eine Startreihenfolge in der Formel 1 oder der Sieger ein Bobmeisterschaft ermittelbar, da müssen schon die kleinen Einheiten ran, von der Verwendung in der Technik mal ganz abgesehen.
Aber mich beschäftigt eigentlich vielmehr, was ist mit der gefühlten Zeit. Ähnlich dem bekannten Unterschied zwischen der gemessenen und gefühlten Temperatur, das gibt es doch auch bei der Zeit. Oder etwa nicht? 'Isch scho widder Weihnochten?', das hat sogar für einen Werbeslogan gereicht. Wie plötzlich kommt doch das Christkind alle Jahre wieder und die Geschenke werden auf den letzten Drücker besorgt, sehr oft. Und weiter aus der eigenen Erfahrung, wie schaut's denn aus mit dem Zeitgefühl, z.B. bei:
- einer Stunde im Liebesnest und 60 Minuten beim Zahnarzt?
- 30 Sekunden Luftanhalten unter Wasser oder eine Mass Bier ex trinken
- 14 Tage in der Arrestzelle oder 2 Wochen Urlaub in der Südsee?
- 25 Jahre Kapitän zur See oder unglückliche Silberhochzeit
Sie wissen, was ich meine? Allgemein sind wir Menschlein recht kurz zu Gast in diesem Leben. Okay, viele andere Organismen sind das noch kürzer. Aber bei einem Baum fängt es schon an, unser großes Grübeln. Was hat der wohl alles erlebt und gesehen? Unsere Jahresringe sehen hingegen so aus:
Die Kindheit gilt uns noch als unbekümmert, die Jugendzeit ist lang, das Mittelalter spannend, ereignisreich und währt mehrere Jahrzehnte, dann kommt die Reife und das Alter. Spätestens dann beginnt die Bilanz, das große Fazit, der Blick auf den kleinen Rest des Maßbandes. Verständlich, finde ich, falls man nicht an Wiedergeburt oder versprochenes, ewiges Glück im Jenseits glauben kann. Ganz zu schweigen übrigens von den 72 Jungfrauen, falls man Märtyrer ist, wobei sich das anfangs viel anhört, doch über die Ewigkeit?
An dem Punkt möchte ich wieder meine These der fehlenden, menschlichen Bescheidenheit einflechten. Warum sollte es all die Varianten nach unserem biologischen Ableben für uns geben? Weil wir die tollsten Geschöpfe sind, die Krönung der Evolution? Die 4,5 Milliarden Jahre der Erdgeschichte (nicht des Universums, das ist noch älter) in einem Gedankenspiel auf einen Tag, also 24 Stunden komprimiert, würde bedeuten:
Nach einer ganzen Reihe erdzeitlicher Fixpunkte in den ersten Stunden, frühesten, einfachen Lebensformen und Pflanzen, die ich nicht alle hier aufführen kann, sind sage und schreibe um 22.45 Uhr die Dinosaurier aufgetaucht, 23.59 Uhr die Primaten und Sekunden vor Mitternacht der moderne Mensch!
Soll ich noch mehr sagen? Anderer Erläuterungs-Versuch. Könnten wir mit einer Geschwindigkeit von einem Jahr pro Sekunde rückwärts, in die Vergangenheit reisen, dann brauchten wir schon über 30 Minuten bis zu Jesu-Lebzeiten und wir würden über 20 Jahre benötigen, bis zum Beginn des Erdzeitalters - Wahnsinn. Da kommt es doch tatsächlich immer wieder vor, eine Mutter ruft ihren Sohn an und sagt: Junge. Komm doch mal wieder zum Kaffee vorbei. Antwort: Tut mir leid, Mam, hab keine Zeit!