Gartensänger

Wer einmal von hohen Tannen umsäumt gewohnt hat, wird mich verstehen. Zu jeder Tagesstunde, vom Morgen­grauen bis zu Däm­merung erklingt das ein­silbige Gegurre der Flugratte, besser bekannt als Ruhrpott­nachtigall, dem Renn­pferd des kleinen Mannes.

Letztere ist dabei schon die Hoch­leistungs­variante und sei hier mal ausge­nommen. Sie kehren ja nach einem Rundflug stets heim ins Reich, um die Flug­muskulatur nach einer Trainings­einheit wieder zu regene­rieren. Ich spreche hier von der wilden Version. Wie solch eintöniger Singsang bloß zum Turteln anregen kann und mehr wie einmal im Jahr ein Gelege voller neuer Gurrer zur Folge hat, das ist ein ungeklärtes Rätsel der Natur. Da soll einer die Tauben­frauen verstehen.

Nach langen Phasen der Abneigung und versuchter Gegen­wehr, z.B. Verkrätzungs­versuche mit einem Wasser­strahl, der letztend­lich nicht hoch genug reichte, ergibt man sich verzweifelt dem Unab­änderlichen. Der Nestbau ist nicht aufzuhalten und manchmal wünschte ich, ich wäre taube.

Ob das die Geburt meiner Hörschwäche war und der Körper sich nur selbst helfen wollte, ich weiß nicht mehr. Man kann aber wie so oft im Leben den Teufel mit dem Belzebub austreiben. Sprich, wir fällten die Tannen und hatten weniger Gegurre, ok, ein Teilerfolg. Aber es gibt noch Dächer mit Antennen, hohe Lebens­bäume und anderes Grünzeug rund um unser Refugium, voll­kommen weg sind meine Gesanges­freunde nicht und belagern nun diese Orte. Richtig in Schach gehalten werden sie haupt­sächlich von den ratschenden, wie Ketten­sägen kreischen­den Elstern - das sind die erwähnten Belze­buben.

Auch bei dieser Vogel­gattung gilt bei aller Liebe zur Natur, was ist der Evolution da nur ein­gefallen. Dies Geschrei ist noch nervt­ötender und der stolze, kapitale Vogel schreitet momentan suchend über unseren Rasen. Ungeachtet seiner Leistung in punkto Tauben­vertreiben saust meine Frau schon hinaus und spielt Scheuche. Das Federtier fliegt steil zum höchsten Punkt auf einen wippenden Ast, krächtst dreimal und schaut belustigt drein. Nach kurzer Verschnauf­pause für meine Frau, ist der Vogel wieder da. Es sei denn, er hat im Nachbar­garten das Schälchen Katzen­futter und die für Eich­hörnchen ausgelegten alten Walnüsse entdeckt, dann gibt es eiligeres zu tun.

Diese schlauen und überaus wach­samen Gesellen räubern gern die nur unzu­reichend versteckten Nester meiner Turtel­freunde. Etwas Gutes ist an jeder Sache zu finden, man muss nur suchen. Schon ganz anders sieht es mit meinen Freuden aus, unterm Dach. Schon allein diese Einleitung zeigt meine Vorein­genommen­heit. Es ist kein Sommer für mich, wenn nicht einige Mauer­segler nach stunden­langer Abwesen­heit um das Haus kreisen. Sie pfeifen gelegent­lich und rauschen an der von ihnen besiedel­ten Dach­ziegel vorbei, quasi rufend: Mami und Papi sind in der Nähe. Die Viel­flieger sind Meister der Lüfte und schaffen es im zweiten Anlauf mit Voll­dampf in den schmalen Spalt unter die Dach­ziegeln zu preschen, wohl gemerkt ohne sich den Hals zu brechen. Vielleicht heißt das Schreien ins Nest auch: Bahn frei - Kartoffelbrei, wie bei uns früher bei der Schlitten­abfahrt. Egal, das ist wie gesagt Sommer­feeling und außerdem lang nicht so lästig.

Als Highlight gelten natürlich die Singvögel im Garten. Der Name ist Pro­gramm. Leider sind nicht alle stimm­gewaltig genug, um gegen meinem Tinnitus aufzu­begehren.
Das Pieps'chen eines Zaun­königs, Rot­kehlchens oder der Garten­braunelle schafft es nicht. Meisen­gebrabbel höre ich schon mal, besonders wenn sie die halbwegs flüggen Jungtiere am Boden füttern und der akustische Kontakt quasi als Funk­strecke steht.

Aus einem nost­algischen Grund mag ich den Haus­sperling und hab seit Jahren einen ent­sprechen­den Nist­kasten mit drei Einflug­löchern, ein Vogel­hochhaus, auf­gehangen. Nix. In meiner Jugend auf dem nord­hessischen Dorf gab es Un­mengen von ihnen und was zur Plage wird, ist nicht gut. Eine Zeit lang gab es für jeden toten Spatz eine Kopf­prämie. Damals sehr große Schwärme machten den Bauern auf dem Feld und in der Scheune die Ernte streitig, sodass ihre Ver­nichtung erlaubt war. Heute ist er trotz Schutz nicht mehr überall zu finden. An urbanen Plätzen, wo Touristen im Café sitzen und viel unter den Tisch fällt, sind diese, Heinz Sielmann würde sagen: possier­liche Piepmätze, jedoch eine Attraktion. Wenn Sie flink umher hüpfen und bis auf den Tisch kommen, keck den Kopf neigen und man einen Augen­blick dem Spatz in die Augen blicken kann, einfach schön. Naja dort und an manchen Höfen gibt es noch kleinere Gesell­schaften. Aber mein Spatzen­haus bleibt leer. Ich muss wohl sagen, der Radau von dreißig, vierzig Stück wäre auch nicht mehr lustig, aber ein paar? Wäre schon schön, die zu viel sind, würde ich wie gewohnt verkrätzen. Wie Taube und Elster.

Da hatte die Natur wieder mal eine Eingebung. Warum die Nester der Mauer­segler unter den Dach­pfannen das halbe Jahr leer stehen lassen. Da dachte sich der Spatzen-Rudelführer - nicht mit uns! Seither hat jede geeignete Pfanne, die das Drunter­schlüpfen ermöglicht einen neuen Be­wohner. Mein geheimer Wunsch ist erhört worden und meine Frau und auch die Mieter über uns mit ihren Balkon sehen das anders. Während des Nest­baus, mehrmals im Jahr, fällt dem unge­schickten Spatzen beim Anflug Nist­material aus dem Schnabel. Eine ordent­liche Sauerei und manchmal stürzt sich auch ein nackter Jungvogel, vielleicht der Schwächling des Wurfs, zu Tode. Naja, der berühmte Schwund eben. Aber die geschäftige Wuselei der Tierchen übers Jahr in unserem Garten und die Ver­nichtung unzähliger Schädlinge entschädigt uns - auch meine Frau, wenn ich es oft genug wieder­hole. Und die Mauer­segler sind weniger geworden, ist das das Risiko 'Leimrute' in süd­lichen Landen oder suchen sie sich einfach neue Dach­pfannen?

Spitze hingegen ist natürlich das melodische und einfall­sreiche Lied einer Amsel. Die Männer machen das ja und geben alles, hoch oben auf der Haus­spitze oder einem anderen Singplatz sitzend, können sie gar nicht aufhören zu trällern. Das verzaubert mich total und ich träume, mir wachsen kleine Flügel und ich folge dem Sing­sang hinauf in die Lüfte - da fliegt der Vogel gerade weg und die Vor­stellung ist zu Ende. Hat der Amsler etwas von meiner Absicht geahnt oder war es gar eine Sing­drossel?

Egal. Leider sind Star, Lerche und Nach­tigall bei uns keine Garten­gäste, eigentlich schade. Ab und zu braucht man neue Freund­schaften.