Evolution
Nach aufreibender Gartenarbeit, mit einigen Blasen an den Händen, genieße ich die Auftriebskraft meines Wannenbades.
Kein Gelenkschmerz durch Bewegung, Eigengewicht, bzw. Erdanziehung.
Letzteres ist ja gut gemeint von meinem Planeten und allgemein hilfreich, momentan aber bitte nicht!
So kann ich nämlich ganz entspannt irgendetwas denken.
Da fällt mir auf, an der Fensterscheibe bewegt sich etwas. Ohne Brille entscheide ich mich für eine Fliege, größeren Kalibers. Immer und immer wieder klatscht der Flugkörper gegen das unsichtbare Hindernis.
Wenn die ebenso wie ich, mit der Nase voraus unterwegs ist – dann tut das doch weh. Trotzdem und ohne Unterlaß bewegen sich die Versuche quer über die 80x80cm große, lichthelle Glasfläche.
Licht! Da wo es hell ist, da muß ich doch hin!
Das ging doch immer!
OK. Über die weitaus meiste Zeit von Fliegen auf Erden, evolutionär gesehen, gibt es Fensterglas nicht, das lass ich als Entschuldigung gelten.
Erste Verwendungen vor 5000 Jahren, allerdings nur für Gefäße, könnte vielleicht die eine oder andere gierige oder neugierige Spezies einmal vor das gleiche Problem gestellt haben.
Seit Christi Geburt aber hat die Nutzung von Glas steil zugenommen.
Die Erkenntnis mit diesem Naturphänomen anders umzugehen, als deppert dagegen zu donnern, hat sich aber in Insektenkreisen nicht durchgesetzt.
Die Zeit dafür ist zu knapp gewesen.
Immer wieder nimmt mein Proband zwei Zentimeter Anlauf, nicht mehr, und scheitert. Zwei Zentimeter ist der gekippte Fensterrahmen hoch. Ein schier unüberwindbares, seitliches Hindernis. Dann die Rahmenbreite, völlig dunkel, da geht gar nichts. Obwohl danach wiederum ein taghelles, sogar luftiges Terrain folgt, aber nur die große lichtdurchflutete Fläche ist interessant. Da kann man so schön die Fliegennase ramponieren.
Ich schüttele innerlich den Kopf, was die Natur alles über Jahrmillionen gewähren läßt, Wahnsinn. Das gibt Hoffnung für die Menschheit.
Während ich noch so über Sinn und Unsinn meiner Erkenntnisse nachdenke, ist plötzlich Ruhe vor dem Glas.
Kein Brummen, kein Schwirren, kein schmerzlicher Aufprall. Der Depp ist weg.
"Da bist du platt", sag ich zu mir. So funktioniert also Evolution.
Irgendwann, irgendwo, irgendwie hat der 37. Versuch die Lösung gebracht.
Es braucht nur Zeit und genügend Anläufe und einen Zufall. Zack. Erkenntnisgewinn.
Die von allen Wissenschaftlern gesuchte Weltformel hat sicher etwas mit IRGEND….zu tun.
Jetzt müßte Kamerad Fliege die Erkenntnis nur noch weitergeben können, an die Milliarden Friends. Die modernen Medien machen es ja möglich.
Mit einem Klick wüßten alle Follower ‚round the world‘ bescheid.
Aber dazu müßten die wieder vor einem Glas sitzen, einer Glotze oder einem Display. Es wäre nicht so viel gewonnen.
Evolutionär gesehen.