Glück am Morgen

Es beginnt schon mit dem morgend­lichen Öffnen der Augen.

Sofort sollte eine hohe Achtsam­keit einsetzen, diesen und hoffent­lich noch einige weitere Resttage in Würde zu ab­solvieren. Auffällige Aus­setzer haptischer oder geistiger Art gilt es voll konzentriert zu vermeiden. In Windes­eile sind über Jahrzehnte erworbe­ner Respekt und Achtung vor der Lebens­leistung vergeigt, wenn nämlich etwas geschieht, was noch vor 10Jahren undenk­bar gewesen wäre und nun einem ‚Downgrade‘ gleich­kommt.

Momentan ohne einen gültigen, vertrag­lichen Zwang, zu nacht­schlafender Zeit in einem muffigen Büro zu erscheinen, pünktlich natürlich - grübelt gerade mein erwachen­der Verstand: welcher Tag ist heute?

Selbst die diffuse Erinnerung an das ver­gangene TV-Abend­programm hilft nicht gleich: War der Tatort gestern oder war das vor­gestern oder gar vor-vor­gestern?
Weitere markante Check­punkte werden flugs kombiniert und zack, der Blick auf den elektro­nischen Nach­tischwecker zeigt, ist es 8.17h und 'MIT' ist zu lesen.
Es ist also schon spät und außerdem Tag der Restmüll­tonne, Mittwoch. Da höre ich schon die unver­kenn­baren Geräusche der Wohl­stands­müllent­sorger näher kommen. Normalweise gibt mir das ein Gefühl von Sicherheit und Normalität. Jetzt ist aber Panik eher die korrekte Be­schreibung.

Ich öffne das Schlafzimmer­fenster und habe mit dem Müll­werker auf der Straße Augen­kontakt. Er zieht fragend die Schultern hoch, weist mit den Hand­schuh­flächen auf den leeren Platz vor dem Gartentor. Ich schütze die Hände um den Mund und rufe: Vergessen! Er winkt mit dem Arm und ein 'Komm! Dalli, dalli!' ist zu hören.

Ich springe motiviert aus der Um­klammerung meines wohligen Schlaf­raumes und schnappe den Haustür­schlüssel, um nacht­bekleidet eilig die graue Tonne zur Straße zu rollen. Dort wird mir der Entsorgungs­behälter aus den Händen gerissen. Ehe ich mich noch groß be­danken kann, ist das Fahrzeug mit den netten Herren in grauen Overalls um die Ecke und ich höre den beruhigen­den Klang der Müll­maschine gedämpft aus der Schlucht der Nachbar­strasse.

Alles ist gut ge­gangen. Hätte ich als Facility-Manager unseres Haus­standes diesen Termin verpaßt - Grand Malheur. Denn die Abfuhr ist vierzehn­tägig, d.h. ver­säumen bedeutet vier­wöchigen Restmüll­gestank in der Garage. Diese Vor­haltungen sind mir erspart geblieben. Gerade nochmal gut gegangen. Es gilt weiterhin auf­merksam zu bleiben. Ich lege mich nochmal hin.